Der Lieferungsverzug, der eine Verzögerung der Leistung unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 BGB darstellt, wird definiert als die schuldhafte Nichterbringung einer möglichen, fälligen und einredefreien Leistung durch den Lieferanten.
Grundlegend ist festzuhalten, dass aufgrund der Reform des Schuldrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgsetz zum 01.01.2002 sich auch hinsichtlich des Tatbestandes des Lieferungsverzuges verschiedene Änderungen ergeben haben. Das „neue Schuldrecht“ kennt mit § 280, Abs. 1 Satz 1 BGB einen allgemeinenPflichtverletzungstatbestand.
Daneben enthält es verschiedene spezielle Pflichtverletzungstatbestände. Einer dieser ist die Verzögerung der Leistung.
Was sind die Voraussetzungen des Lieferungsverzuges?
Das neue Schuldrecht geht deduktiv vor — das heißt es erfasst alle Störungen im Begriff der „Pflichtverletzung“ in § 280, Abs. 1 BGB. Damit bestehen für die Pflichtverletzungen soweit wie möglich einheitliche Regelungen, wobei dennoch die nötige Differenzierung zwischen den einzelnen Arten der speziellen Pflichtverletzung erfolgt. Die einschlägigen Vorschriften für die Leistungsverzögerung finden sich in §§ 280, 281, 286 BGB.
Forderung aus einem Schuldverhältnis gemäß § 286, Abs. 1 BGB
Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Lieferungsverzuges ist das Bestehen einer wirksamen Forderung aus einem Schuldverhältnis. Eine wirksame Forderung aus einem Schuldverhältnis liegt vor, wenn der Anspruch des Käufers nicht auf eine unvollkommene Verbindlichkeit gerichtet, nicht mit einer Einrede behaftet und nicht aufgrund fehlender Heilung oder dem fehlenden Eintritt einer aufschiebenden Bedingung unwirksam ist. Zudem muss der Anspruch hinreichend bestimmt sein und darf nicht von einer behördlichen Genehmigung abhängen.
Nichtleistung gemäß § 286, Abs. 1 BGB
Von Nichtleistung spricht man, wenn der Verkäufer die ihm mögliche Leistung trotz Durchsetzbarkeit des Anspruchs nicht erbracht hat. Zur Leistungserbringung genügt grundsätzlich, dass der Verkäufer die Leistungshandlung rechtzeitig vorgenommen hat, sodass der Leistungserfolg noch nicht eingetreten zu sein braucht. Das klassische Beispiel sind Schickschulden.
Es genügt zur Leistungserbringung, wenn der Lieferant die Ware rechtzeitig, also bis zum Leistungszeitpunkt, an den Käufer absendet. Nicht erforderlich ist, dass der Leistungserfolg — also der Erhalt der Ware — beim Käufer eingetreten sein muss. Es steht die Vornahme der Leistungshandlung gleich, wenn der Verkäufer dem Käufer die Leistung in einer den Annahmeverzug begründenden Art und Weise anbietet.
Kein Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 BGB
In der Systematik des neuen Schuldrechts stellt die Nichtleistung eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB dar. Ist aber die Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 BGB ausgeschlossen, so kann der Verkäufer durch eine Nichtleistung nicht mehr in Verzug geraten, da keine Pflicht besteht, die er verletzen könnte. Ist der Lieferant nach § 275 BGB von seiner Leistungspflicht befreit, greifen die in § 275, Abs. 4 normierten Rechtsfolgen ein. Die Vorschriften über den Lieferungsverzug befinden sich nicht darunter, sodass Unmöglichkeit und Lieferungsverzug sich ausschließen. Erfolgt der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB während des Lieferungsverzuges, endet dieser, sodass für den Zeitraum bis zum Ende des Lieferungsverzuges die Rechtsfolgen des Lieferungsverzuges eintreten und für den Zeitraum danach bestimmen sich die Rechtsfolgen nach dem allgemeinen Recht der Pflichtverletzung.
Problematisch ist die Abgrenzung von Verzug und Unmöglichkeit. Das entscheidende Kriterium, an dem die Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute festgemacht wird, ist das der Nachholbarkeit der Leistung. Folglich ist grundsätzlich die zur Fälligkeit nicht erbrachte Leistung möglich, wenn sie vom Verkäufer nachgeholt werden kann. Ist die Leistung nicht nachholbar, so sind die Regelungen über die Unmöglichkeit der Leistung anzuwenden. Dies zieht verschiedene Konsequenzen nach sich:
In den Fällen, in denen zur Leistungserbringung des Verkäufers eine Mitwirkungshandlung des Käufers notwendig ist, liegt eine Unmöglichkeit der Leistung vor, wenn der Käufer diese unterlässt und die Leistung durch den Verkäufer nicht nachgeholt werden kann. Ein fehlendes Interesse des Käufers an der Leistung führt grundsätzlich nicht zur Unmöglichkeit. In der Situation, in der die geschuldete Leistung im Zeitpunkt der Fälligkeit nur vorübergehend unmöglich ist und die Leistung in gewisser Zeit nachgeholt werden kann, nimmt man Lieferungsverzug an, weil die Leistung nach dem Wegfall der Störung noch erbracht werden kann.
Wenn die Erbringung der Leistung für jedermann unmöglich ist, liegt kein Lieferungsverzug vor, da kein Mensch zu etwas Unmöglichem verpflichtet sein kann. Dies wird auch im BGB im § 275, Abs. 1 festgehalten.
Fälligkeit der Leistung gemäß § 286, Abs. 1 BGB
Vor Fälligkeit braucht der Verkäufer nicht zu leisten und kann somit auch nicht in Lieferungsverzug geraten. Grundsätzlich richtet sich die Fälligkeit einer Forderung nach der zwischen Verkäufer und Käufer vereinbarten oder sich aus den Umständen ergebenden Leistungszeit, § 271, Abs. 2 BGB. Liegt keine besondere Absprache zwischen Verkäufer und Käufer vor, greifen die allgemeinen Regelungen, insbesondere die des § 271, Abs. 1 BGB ein, wonach die Leistung sofort fällig ist.
Einredefreiheit der Forderung gemäß § 286, Abs. 1 BGB
Die Forderung ist nicht durchsetzbar, wenn sie mit einer Einrede des Verkäufers behaftet ist, sodass eine Pflichtverletzung ausscheidet, falls der Verkäufer nicht leistet. Denn solange der Verkäufer die Leistung aufgrund einer Einrede verweigern kann, ist seine Nichtleistung nicht als Pflichtverletzung einzustufen.
Mahnung durch den Käufer gemäß § 286, Abs. 1 BGB
Grundsätzlich ist für den Eintritt des Lieferungsverzuges eine wirksame Mahnung des Lieferanten durch den Käufer erforderlich. Der Grundgedanke für die Erforderlichkeit einer Mahnung liegt darin begründet, dass die Folgen des Lieferungsverzuges den Verkäufer schwer treffen können. Folglich soll dieser vorher noch besonders gewarnt werden.
Die Mahnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Aufforderung an den Lieferanten, die geschuldete Leistung zu erbringen und setzt voraus, dass die darin enthaltene Leistungsaufforderung an den Lieferanten eindeutig und bestimmt ist. Eine Form der Mahnung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass diese formlos, mündlich oder durch schlüssige Handlung vorgenommen werden kann.
Beispiele
Beispiel 1:
Jannis kauft bei der Kunst GmbH eine antike und besonders schöne Ming-Vase. Mit dem Geschäftsführer vereinbart Jannis, dass die Vase am 07.08.2024 zu ihm nach Hause geliefert werden soll. Auf dem Weg zu Jannis Haus gerät der Fahrer in einen schlimmen Unfall, wodurch die Ming-Vase komplett zerstört wird.
Jannis beschwert sich und ist offenkundig enttäuscht. Er behauptet, dass er einen Anspruch auf die Lieferung der Vase hat.
Stimmt dies? Liegt hier ein Lieferungsverzug der Kunst GmbH vor?
Zwischen Jannis und der Kunst GmbH ist ein Kaufvertrag zustande gekommen. Die wesentlichen Vertragsbestandteile und zwei einstimmende Willenserklärungenliegen vor. Hieraus resultiert zunächst Jannis Anspruch auf Lieferung der Ming-Vase gemäß § 433, Abs. 1 BGB.
Nun ist die Ming-Vase jedoch bei dem Transport kaputt gegangen. Da Jannis und die Kunst GmbH sich über den Kauf einer antiken und besonderen Ming-Vase — also einer einzigartigen Sache — geeinigt haben, handelt es sich um eine Stückschuld. Genau diese Vase kann die Kunst GmbH oder irgendjemand anders nicht mehr liefern. Hier liegt also die Unmöglichkeit vor. Dementsprechend ist Jannis Anspruch auf Lieferung der Ming-Vase gemäß § 275, Abs. 1 BGB untergegangen.
Jannis hat also keinen Anspruch auf die Lieferung der Ming-Vase gemäß § 433, Abs. 1 BGB. Es liegt kein Lieferungsverzug vor.
Übungsfragen
#1. Wann gerät ein Verkäufer in Lieferungsverzug?
#2. Was ist eine angemessene Lieferfrist?
#3. Was ist keine Voraussetzung des Lieferungsverzuges?
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