Was bestimmt unsere Personenwahrnehmung?

Der erste Eindruck täuscht oft bei der Personenwahrnehmung. Doch unsere ganze Wahrnehmung ist auf das Gegenteil ausgerichtet. Treffen wir auf einen Fremden, haben wir im Nu ein Urteil gefällt. Jemand kommt uns sympathisch oder unsympathisch vor, und häufig ist uns gar nicht klar, warum. Manchmal sind bestimmte Merkmale für Urteile relevant: So kann man z. B. von dem Abiturzeugnis einer Bewerberin relativ gut auf ihre Intelligenz schließen. Manchmal sind die Merkmale nicht relevant. Wenn etwa eine attraktive Sekretärin einer viel kompetenteren vorgezogen wird.

Der Forscher Alexander Todorov zeigte Probanden Fotos von Menschen für eine Zehntelsekunde. Dann sollten die Versuchspersonen innerhalb einer Sekunde per Tastendruck entscheiden, wie aggressiv, kompetent oder glaubwürdig sie einen Fremden finden oder wie sehr sie ihn mögen. Das Ergebnis: Bevor die Probanden ein Gesicht auch nur voll erkannt hatten, war ein Urteil bereits gefällt.

PersonenwahrnehmungDieses Ergebnis ändert sich auch dann kaum, wenn man es bewusst verarbeiten kann. Tatsächlich kommen auch vor Gericht Angeklagte mit Gesichtern, die dem Kindchenschema entsprechen, bei gleichen Vergehen tendenziell besser weg. Menschen, deren Gesichtszüge afro-amerikanisch erscheinen, bekommen hingegen im Durchschnitt für vergleichbare Verbrechen höhere Strafen. Auch im Berufsleben sind in fast allen Sparten attraktive Bewerber von Vorteil – auch dann, wenn das Aussehen überhaupt keine Rolle spielen sollte.

Wie wirken Voreinstellungen bei der Personenwahrnehmung?

Neben Signalen wie Lächeln oder Blickkontakt bestimmen Voreinstellungen unsere Personenwahrnehmung. Diese wirken wie ein Filter, indem das, was wir sowieso schon annehmen, eher unser Gedächtnis erreicht und wir ihm mehr Aufmerksamkeit schenken. Zum Beispiel würden wir, wenn wir vorab gehört haben, dass eine Person ungeschickt ist, automatisch auf Verhaltensweise achten, die auf eine solche Eigenschaft hinweisen. Wir nehmen dann eher wahr, dass die Person Schwierigkeiten hat, den richtigen Sender im Radio zu finden.

Hätten wir dagegen die Voreinstellung gehabt, dass die Person musikalisch begabt ist, hätten wir die längere Zeit beim Suchen eines Senders eher wählerisch interpretiert. Durch selektive Personenwahrnehmung bestätigt man eventuelle Voreinstellungen.

Haben wir einen positiven oder negativen Eindruck, ist es wahrscheinlich, dass sich dieser auch auf andere Beurteilungen von Eigenschaften der Person auswirkt. Eine attraktive Person erscheint uns nicht nur sympathisch, sondern auch kompetent, intelligent und kreativ. Dies wird auch Halo-Effekt genannt.

Was verstehen wir unter Priming?

Das Vorwissen, über das wir verfügen, hat oft eine starke Wirkung, im Gedächtnis haben wir assoziative Netze abgespeichert. Aggression ist dort beispielsweise mit Begriffen wie Messer, Waffe, Pistole oder Videospiel verknüpft. Wenn wir einen Thriller im Kino sehen und uns nachts auf dem Heimweg ein großer Mann entgegenkommt, wechseln wir vielleicht die Straßenseite. Denn durch den brutalen Film sind Gedanken aktiviert worden, die mit Mord und Totschlag zusammenhängen.

Diese sind dann hoch verfügbar. Das Voraktivieren von Gedächtnisinhalten wird auch Priming genannt. Im Beispiel sind wir also empfindlich für Gefahrensignale, da der Film vorher Gedanken an Gefahr aktiviert hatte. Hätten wir eine Komödie gesehen, wäre der Man uns wohl weniger bedrohlich vorgekommen.

Die vielen unbewussten Einflüsse, die bisher zur Sprache kamen, erscheinen vielleicht auf den ersten Blick unvernünftig. Sie kratzen an unserem Image als rationale Wesen. Jedoch sind solche Prozesse ungemein effizient, wenn wir bedenken, wie viele Menschen uns täglich begegnen. Nur mit einem Bruchteil von ihnen können wir uns wirklich auseinandersetzen. Schnelle Urteile sind daher gefragt, selbst wenn sie teilweise zu Verzerrungen und Fehlern führen.

Was aber tun Menschen, wenn sie mehr Zeit und Motivation haben, sich mit anderen zu beschäftigen? Wenn wir uns für ein Urteil Zeit nehmen und Beobachtungen darüber sammeln, wie sich jemand verhält, ist oft immer noch unklar, wie bestimmte Verhaltensweisen zu erklären sind.

Womit beschäftigt sich der Forschungszweig zur Ursachenzuschreibung?

Der Forschungszweig zu Attributionen oder Ursachenzuschreibung ist ein Bereich innerhalb der Sozialpsychologie, der sich mit der Frage beschäftigt, warum jemand etwas tut. Angenommen, eine neue Kollegin ist auffallend schlecht gekleidet – jeden Tag trägt sie dieselbe unpassende Kleidung. Um ihr Verhalten zu verstehen, sollten wir uns fragen, ob es durch die Person selbst begründet wird, also: Ist sie nachlässig?

Entscheiden wir uns für diese Annahme, nehmen wir eine internale Attribution vor, der Grund liegt in der Person selbst. Vielleicht kommen wir aber zu dem Schluss, dass die Ursache außerhalb ihrer Kontrolle liegt. Womöglich fehlt ihr zum Beispiel das Geld, sich besser zu kleiden. Dies wäre eine externale Attribution, es liegt an äußeren Umständen.

Welche Dimensionen rationaler Beurteilung bei der Personenwahrnehmung unterscheidet man?

George Kelly entwarf eine Theorie zur rationalen Beurteilung von Personen und deren Verhalten. Er identifizierte drei Dimensionen: Distinktheit, Konsistenz und Konsensus. Diese sollen an dem Beispiel deutlich werden, dass eine neue Kollegin den Vorgesetzten nicht grüßt.

  • Die erste Frage betrifft die Distinktheit. Wir fragen: Verhält sich die Person in anderen Situationen genauso oder anders? Stellen wir nun fest, dass die andere grüßt, so hat es vermutlich nichts damit zu tun, dass sie generell unfreundlich ist, sondern es liegt ein spezielles Problem mit dem Vorgesetzten vor. Das wäre auf die Person bezogen ein externaler Grund. Die Ursache für ihr Verhalten liegt nicht in ihr selbst begründet. Grüßt sie jedoch niemanden, ist sie mit großer Wahrscheinlichkeit unfreundlich. Dies wäre dann ein internaler Grund.
  • Das zweite Kriterium ist der Konsensus. Verhalten sich andere Personen in der gleichen Situation anders oder ähnlich? Ist es so, dass in der Firma niemand grüßt? Dann wäre das Verhalten der Kollegin nicht als internal zu interpretieren, sondern als external. Dort herrschen raue Sitten, die Kollegin hat diese lediglich übernommen. Oder ist es so, dass alle einander grüßen, nur sie grüßt nicht? Dann liegt es nahe, eine eher internale Attribution vorzunehmen.
  • Die dritte Dimension betrifft die Konsistenz. Verhält sich die Person in der gleichen Situation meist anders oder ähnlich? Das heißt, grüßt sie nur heute nicht oder nie? Oder ist es sogar so, dass sie eigentlich nur heute nicht gegrüßt hat? Ist ein Verhalten konsistent, liegt eher eine internale Attribution nahe, ist es nicht konsistent, eine externale. Es kann zum Beispiel sein, dass der Vorgesetzte etwas falsch gemacht hat und sie gar nicht schuld ist.

Kelly nahm an, dass Menschen rationale Wesen sind und diese vernünftigen Attributionen standardmäßig ausführen. Dies trifft jedoch nicht zu. Die vergangenen zwanzig Jahre Forschung haben gezeigt, wie häufig Menschen Urteile auf der Grundlage wenig elaborierter, automatischer Prozesse fällen. Zudem stehen uns nicht immer alle Informationen zur Verfügung. Häufig wissen wir zum Beispiel nicht, wie sich eine Person anderen gegenüber verhält und wie oft sie etwas tut. Sicher ist jedoch, dass Menschen rational denken können, wenn sie diese drei Checks sorgfältig ausgeführt haben.