Welche Handelsfunktionen gibt es?

Die Lehre von den Handelsfunktionen wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts entwickelt – vor allem um den jahrhundertealten Vorwurf der Unproduktivität des Handels zu entkräften. Man versucht, die Leistungen des Handels als Wahrnehmung gesamtwirtschaftlich notwendiger Funktionen im Prozess der Güterverteilung darzustellen.

Handelsfunktionen einfach erklärtEinzelne Funktionen werden inhaltlich abgegrenzt und zu Katalogen von Handelsfunktionen zusammengefasst. Gleichzeitig wird das Ziel verfolgt, für einzelne Produkte die Funktionenerfüllung bei indirektem Absatz durch Zuordnung von anfallenden Kosten und bewirkten Wertsteigerungen messbar zu machen. Mit diesen Größen soll die Handelsspanne und vor allem deren produktspezifisch unterschiedliche Höhe mittels ökonomischer Fundierung gerechtfertigt werden.

Für wissenschaftliche und praktische Zwecke lässt sich die Lehre von den Handelsfunktionen nutzen, wenn man sich von den eingangs skizzierten historischen Fragestellungen löst und Handelsfunktionen zur Erklärung gesamtwirtschaftlicher Distributionsprozesse sowie zur Fundierung des Beschaffungs- und Absatzmarketing von Handelsbetrieben heranzieht.

Die Basis bildet der gesamtwirtschaftliche Distributionsprozess, der aus einem Real- und Nominalgüterstrom sowie einer Vielzahl von Kommunikationsbeziehungen besteht. Hier wird – gegenüber der klassischen Funktionentheorie – eine Erweiterung der Funktionen und der Untersuchungsobjekte vorgenommen. Analysiert wird die Funktionenübernahme aller am Distributionsprozess beteiligten Institutionen zur Abwicklung des Güter- und Geldkreislaufes sowie deren Einschaltung in die Kommunikationsprozesse.

Handelsbetriebe erbringen dabei vornehmlich immaterielle Leistungen, die darauf gerichtet sind, fremderstellte Sachleistungen mit eigenerstellten Dienstleistungen zu kombinieren und diese gegen Entgelt anzubieten. Handelsbetriebe gewinnen und speichern dabei eine Vielzahl von Daten, die sie teilweise für eigene Zwecke nutzen, teilweise ihren Marktpartnern – manchmal gegen ein gesondertes Entgelt – anbieten.

Wie wird der Begriff Handelsfunktionen gesamtwirtschaftlich interpretiert?

In einer arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung laufen Produktions-, Verbrauchs- und Verwertungsprozesse von Waren aus naturbedingten technologischen, sozialen und ökonomischen Gründen nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten ab. Ebenso vielgestaltig ist der Ablauf von Geldprozessen, sei es als Entgelt für erworbene Waren bzw. Rechte oder in Anspruch genommene Dienstleistungen, sei es der Einzug von Steuern oder Gebühren, letztere etwa für die Abfallverwertung.

Bei der Abwicklung dieser Real- und Nominalgüterprozesse fallen Daten an, die als Informationen zur Steuerung des gesamtwirtschaftlichen Distributionsprozesses dienen. Zwischen Produktion-Verbrauch-Verwertung bestehen räumliche, zeitliche, quantitative und qualitative Spannungen , die sich auf alle drei Elemente der Distributionswirtschaft beziehen: Die Handelsobjekte (Waren, Dienstleistungen, Rechte sowie Abfall), die Entgeltobjekte (Zahlungsmittel) sowie Zahlungsansprüche und -verbindlichkeiten, Steuern, Gebühren) sowie die Daten/Informationen.

Der Ausgleich dieser Spannungen ist Aufgabe der gesamtwirtschaftlichen Distribution. Umschrieben wird sie mit der sog. Urfunktion der Distributionswirtschaft, der in jeder Wirtschaft zu erfüllenden Ausrichtungs- oder Umgruppierungsfunktion. Der Spannungsausgleich wird bewirkt, indem einerseits das oft nach produktionstechnischen Gesichtspunkten konzipierte Produktangebot bedarfs- und verwertungsgerechter und andererseits die nach Situationen, Personen bzw. Institutionen höchst differenzierte Nachfrage produktions-, distributions- und ebenso verwertungsgerechter ausgerichtet wird.

Handelsfunktionen in gesamtwirtschaftlicher Interpretation, hier als Distributionsfunktionen bezeichnet, werden in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ganz oder teilweise von allen Beteiligten übernommen: den Erzeugern bzw. Produzenten, den Verwendern bzw. Verbrauchern, den Verwertern – das sind alle Unternehmen der Abfallwirtschaft einschließlich staatlicher, kommunaler Stellen – sowie schließlich sämtliche Organisationen der Absatzwirtschaft, z. B. Groß- und Einzelhandelsbetrieben, Im- und Exporteuren, Lagerhaltern, Spediteuren, Reedern etc..

Sie alle betreiben in einer arbeitsteiligen Wirtschaft Handel im funktionellen Sinn. Wer welche Funktionen und mit welcher Intensität übernimmt, ist aus marktwirtschaftlich ökonomischer Sicht Ergebnis eines gesamtwirtschaftlichen Ökonomisierungsprozesses, d. h. derjenige wird langfristig einzelne Aufgaben übernehmen, der die höchste Ausrichtungsleistung zu den geringstmöglichen Kosten zu erbringen vermag. Die dadurch bewirkte Ökonomisierung der Distribution ist eine zentrale Voraussetzung für die optimale Versorgung einer Volkswirtschaft mit Gütern. Außerdem sichert ein leistungsfähiges Distributionssystem die internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Vom Prinzip gesamtwirtschaftlicher Ökonomisierung abweichende Funktionsaufteilungen können dann auftreten, wenn z. B. marktmächtige Glieder der Distributionskette kostenintensive Funktionen auf schwächere Marktpartner abwälzen oder aufgrund ordnungspolitischer Vorstellungen die Wahrnehmung einzelner Funktionen bestimmten oft staatlichen Organen zugewiesen wird bzw. vorbehalten bleibt.

Dass diese Ausrichtungsfunktion über den rein physischen Warentransport weit hinausgeht, illustrieren die Just-in-Time-Lieferungen oder die Übertragung von Teil-Funktionen aus dem Prozess der Abfallverwertung an den Konsumenten aber auch den Produzenten beispielsweise von Verpackungen sowie die Einführung von electronic cash.

Wie wird der Begriff Handelsfunktionen einzelwirtschaftlich interpretiert?

Bei dieser Sichtweise geht es um die Abgrenzung derjenigen Funktionen, die Handelsbetriebe (d. h. Unternehmen, die ausschließlich oder überwiegend Handel im funktionellen Sinn betreiben) im gesamtwirtschaftlichen Distributionsprozess übernehmen. Handelsfunktionenkataloge in diesem Sinne sind demgemäß Zusammenstellungen von einzelbetrieblichen Beschaffungs- und Absatzaufgaben.

Handelsbetriebe in Marktwirtschaften sind Institutionen, die aus der Vielfalt gesamtwirtschaftlicher Distributionsfunktionen diejenigen auswählen, die eine höchstmögliche Erfüllung der jeweiligen einzelbetrieblichen Zielsetzungen versprechen. Gemäß divergierender Zielsetzungen unterscheiden sich die Handelsbetriebe in der quantitativen sowie qualitativen Funktionskombination und der Intensität der Funktionswahrnehmung. Darauf beruht die in der Realität anzutreffende Vielfalt von Betriebsformen des Handels, und dieser Befund erklärt die permanenten, höchst dynamischen Wandlungsprozesse im Handel.

Die einzelwirtschaftlichen Funktionenkataloge können als theoretische Basis für eine Systematisierung der Instrumente des Handelsmarketing herangezogen werden. Diese werden als gedankliche Zusammenfassungen von Aktionsbereichen des Handelsmanagement aufgefasst, innerhalb derer Entscheidungen zur Gestaltung der Absatz- und Beschaffungsmärkte getroffen werden. Mit den Entscheidungen des Beschaffungs- und Absatzmarketing streben einzelne Handelsbetriebe primär die Erfüllung der von ihnen autonom gesetzten Unternehmensziele an.

Gleichzeitig erfüllt ein Handelsbetrieb mit diesen Entscheidungen auch seine von ihm übernommene Ausrichtungsfunktion im gesamtwirtschaftlichen Distributionsprozess; er übt somit Handelsfunktionen in der gesamtwirtschaftlichen Interpretation aus. In Marktwirtschaften wird angenommen, dass die einzelwirtschaftliche Funktionswahrnehmung im Rahmen des Beschaffungs- und Absatzmarketing dann zu einer optimalen Versorgung der Bevölkerung führt, wenn unter den Unternehmen des institutionellen und funktionellen Handels ausreichender Wettbewerb besteht.

In Zentralverwaltungswirtschaften ist die Funktionsübernahme durch Handelsbetriebe anders geregelt: Mangels einzelbetrieblicher Zielsetzungen werden Handelsbetrieben als Gliedern der Distributionswirtschaft gesamtwirtschaftlich als notwendig erachtete Aufgaben zugewiesen und den Handelsbetrieben die Erfüllung dieser Funktionen als Zielsetzung vorgegeben. Genannt werden: Versorgungsfunktion (Zirkulationsfunktion), Funktion der Bedarfsforschung, Funktion der Produktionslenkung und schließlich eine ideologische Funktion.