Welche Konflikte bestehen zwischen Hersteller und Handel im Rahmen des vertikalen Marketing?
In der Vergangenheit hat sich die Praxis des vertikalen Marketing sehr intensiv auf die Rabatt- und Konditionenpolitik konzentriert. Erst in letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die versuchen, andere Aspekte in den Mittelpunkt zu stellen, wie z. B. das Bemühen um eine möglichst große gemeinsame Wertschöpfung (Wertschöpfungspartnerschaften) oder eine Koalition zwischen Hersteller und Handel, die dann – unausgesprochen – zu Lasten des Verbrauchers ginge, um für beide Seiten (insbesondere im Lebensmittelbereich) wieder auskömmliche Margen zu erwirtschaften (vertikale Kooperation).
Hierbei wird jedoch übersehen bzw. untergewichtet, dass Hersteller und Handel zwar zum Teil gemeinsame Interessen haben, zwischen beiden Stufen jedoch gleichzeitig ein Wettbewerb um die Aufteilung der Funktionen und der Vertriebsspanne herrscht. Dieser Konflikt ist grundsätzlicher Natur, d. h. systemimmanent – er wird in der Regel durch das Verhältnis zwischen Hersteller und Händler dominieren. Schließlich ist die Durchsetzung einer insgesamt höheren Vertriebsspanne abhängig von der Preiselastizität für die einzelnen Produkte. Bei zahlreichen Produkten existiert jedoch ein stark ausgeprägtes Preisbewusstsein der Verbraucher, was hohen Wettbewerbsdruck auf der Handelsstufe erzeugt.
Systemimmanent und wettbewerbspolitisch funktional sind alle Interessengegensätze aufgrund des Strebens beider Stufen nach Gewinn bzw. nach einem möglichst hohen Anteil an der Vertriebsspanne eines Produktes und nach Unabhängigkeit bzw. nach selbständiger Festlegung der Unternehmenspolitik: Der Hersteller möchte dabei meistens – möglichst ohne spürbare Einengung durch konträre Handelswünsche – seine Produkte durch den Handel durchsteuern, möchte das Verbrauchermarketing möglichst im Griff behalten. Der Handel dagegen wehrt sich gegen Aktivitäten des Herstellers, die sein spezifisches Handelsmarketing begrenzen (Marketingführerschaft).
Die Hersteller versuchen ferner, möglichst hohe Markteintrittsbarrieren für konkurrierende Anbieter aufzubauen bzw. zu erhalten. Der Handel wünscht dagegen niedrige Eintrittsbarrieren, um gegebenenfalls vom Wettbewerb der Hersteller untereinander zu profitieren.
Konflikte zwischen Hersteller und Handel sind somit nicht auflösbar, es stellt sich lediglich die Frage, wie sie gehandhabt werden sollen. Dabei herrschen insbesondere Unstimmigkeiten darüber, wer von beiden welche Funktionen (im Endverbraucher-Marketing, in der Warenwirtschaft oder in der Informationswirtschaft) für welchen Anteil an der Vertriebsspanne durchführen soll.
Durch den zunehmenden Wettbewerb sowohl zwischen Industrieunternehmen als auch zwischen Handelsunternehmen ist man allgemein bemüht, strategische Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Wettbewerbsorientierte Strategien haben aber zwangsläufig auch einen Einfluss auf die Beziehungen zur vor- bzw. nachgelagerten Stufe, d. h. auch Auswirkungen auf den vertikalen Wettbewerb.
Die Übernahme von Funktionen beinhaltet aber nicht nur Gestaltungsmöglichkeiten, sie ist zwangsläufig auch mit Kosten verbunden. Der Funktionsverteilungskonflikt und der Konflikt um die Verteilung der Vertriebsspanne gehen somit Hand in Hand. Zu einem Verteilungskampf kommt es insbesondere dann, wenn ein Unternehmen den Status quo der Funktions- und Spannenverteilung verlässt und dadurch das labile Gleichgewicht zwischen Hersteller und Handel stört.