Was ist Simultaneous Engineering?

Simultaneous Engineering (SE) (deutsch: verteilte gleichzeitige Entwicklung) beinhaltet eine Handlungsweise aus der Produktentwicklung: das gleichzeitige, d. h. zeitlich parallele Entwickeln von Produkt, Produktionseinrichtungen, Produktions- und Logistikprozessen. Zu den drei methodischen Lösungsansätzen von SE gehören die Integration, Parallelisierung und Kompetenzzusammenführung.

Damit wird die Entwicklungszeit eines neuen Produktes verkürzt, spätere produktionsinduzierte Änderungen vermieden und die Abstimmung von Entwicklung und Produktion insgesamt verkürzt. Simultaneous Engineering stellt eine integrierte und zeitparallele Gestaltung der Produkte, Prozesse und Projekte dar.

Dieses Konzept wurde ursprünglich in der japanischen Automobilindustrie entwickelt, die durch die Parallelisierung des Produktentstehungsprozesses erhebliche Wettbewerbsvorteile in Form einer kürzeren Entwicklungszeit im Vergleich zu den westeuropäischen und nordamerikanischen Konkurrenten realisieren konnte.

Wieso gibt es Simultaneous Engineering?

Nach konventioneller Vorgehensweise folgen die beiden Phasen Konstruktion und Fertigungsvorbereitung sequenziell aufeinander. Beim Übergang eines Projekts von der Konstruktionsphase in die Phase der Fertigungsvorbereitung stehen sich zwei unterschiedliche Sichtweisen gegenüber: Während die Produktplanung und Produktkonstruktion vorrangig auf die technische Qualität des Produkts und die Anforderungen des Marktes ausgerichtet sind, sind die mit der Fertigungsvorbereitung befassten Ingenieure stärker um einen möglichst einfachen, stabilen und kostengünstigen Fertigungsprozess bemüht.

Ausgefallene Entwürfe und Konstruktionen, die dem Wunsch nach Alleinstellung auf dem Absatzmarkt und besonderer technischer Eleganz entsprechen, können aus der Sicht der Fertigung bzw. bei Fremdbezug aus dem Blickwinkel des Einkaufs technisch schwierig und aufwendig sein. Hierdurch können Kosten- und Terminziele in der Fertigung oder im Einkauf und damit der wirtschaftliche Erfolg des Projekts in Gefahr geraten.

Simultaneous EngineeringFür den Einkauf kann es schwierig sein, überhaupt einen geeigneten Lieferanten zu finden, der fähig ist, die technischen Anforderungen zu erfüllen, was sich in den Einkaufsverhandlungen tendenziell preiserhöhend auswirkt. Schwierigkeiten bei der fertigungstechnischen Umsetzung eines fertigen konstruktiven Entwurfs führen dann zu aufwendigen und Zeit raubenden Änderungen in bereits fertiggestellten Konstruktionsentwürfen und – wenn die Probleme erst später erkannt werden – auch in den Prozessplänen.

Wegen dieser Probleme wird eine fertigungs- und beschaffungsgerechte Konstruktion gefordert. Dominiert aber andererseits der Aspekt der Herstellbarkeit die Konstruktionsphase, so können im Ergebnis hieraus Produkte hervorgehen, die zwar gut zu fertigen – aber kaum zu verkaufen sind. Insbesondere ist die sequenzielle Vorgehensweise für die raschen Veränderungen unterworfenen Märkte vielfach zu langsam.

Was ist die Grundidee des Simultaneous Engineering?

Das Konzept des Simultaneous Engineering parallelisiert die Phasen der Produkt- und der Prozessplanung (Fertigungsvorbereitung) und lässt das verfügbare Wissen aller Fachabteilungen (Entwicklung, Verkauf, Anwendungstechnik, Fertigung, Service, Einkauf) bereits bei der Erarbeitung des ersten Konzepts einfließen.

Neben der Parallelisierung bisher sequenziell durchgeführter Entwicklungsaufgaben, ist daher die Arbeit in funktionsübergreifenden Entwicklungsteams charakterisierend für das Simultaneous Engineering.

Die Gesamtaufgabe der Produkt- und Prozessplanung wird hierbei zunächst in Teilpakete (Module) zergliedert. Eine genaue Beschreibung der Schnittstellen zwischen diesen Modulen ist Voraussetzung für eine spätere Integrierbarkeit zu einem funktionsfähigen Gesamtprodukt.

Einem Lieferanten übertragene Teilpakete gehen voll in dessen Entwicklungsverantwortung über. Dies gilt hauptsächlich auch für die Erarbeitung des Pflichtenhefts. Natürlich ist eine regelmäßige Abstimmung zwischen den Teilprojekten unverzichtbar.

Bereits vor Abschluss der Projektplanung wird für die einzelnen Module und Komponenten schon auf der Basis noch relativ grober Konzepte mit der Planung des Fertigungsprozesses begonnen, was eine intensive Abstimmung und Kommunikation zwischen Konstrukteur und Fertigungsingenieur erfordert.

Um Abstimmungsprobleme zu vermeiden, ist eine laufende Dokumentation sowie die zentrale Verfügbarkeit der jeweils aktuellen Entwicklungsstände Voraussetzung. Dabei darf keine der beteiligten Funktionen über die andere dominieren. Im Vordergrund  muss eine ganzheitliche und kundenorientierte Lösung der konstruktiven und fertigungstechnischen Sachprobleme stehen.

In der Praxis ist es gelungen durch die frühzeitige Abstimmung und durch die Parallelisierung der Entwicklungsaufgaben, den Entwicklungsprozess wesentlich zu verkürzen. Bei sequenzieller Vorgehensweise unvermeidbare sowie teure und zeitaufwendige nachträgliche Änderungen können bei simultaner Entwicklung weitgehend vermieden werden.

Was sind Ziele des Simultaneous Engineering?

Ein wesentliches Ziel des Simultaneous Engineering ist eine Verkürzung der time-to-market als Antwort auf immer kürzere Produktlebenszyklen und die Erreichung einer höheren Transparenz des Planungsobjektes und -prozesses.

Sind alle Beteiligten im Simultaneous Engineering Team integriert, lässt sich die Gestaltung des Produktes im Sinne einer Optimierung mehrerer Zielgrößen einfacher durchführen. Außerdem gehören niedrigere Fertigungskosten, höhere Qualität und eine verbesserte Kundenzufriedenheit zu den Zielen.

Erreicht wird die zeitparallele Produkt- und Prozessgestaltung durch Überlappung der in konventionellen Produktentstehungsprozessen sequentiell durchgeführten Abläufe. Zwischen den Beteiligten an den Prozessschritten ist eine intensive Kommunikation erforderlich.

Es erfolgt schon während der Entwicklung ein permanenter Informationsaustausch, der spätere Änderungen unnötig macht, anstatt wie bei der klassischen Produktentwicklung Änderungsbedarfe an die Verantwortlichen für vorherige Arbeitspakete zu kommunizieren. Fehler am Entwurf sind so frühzeitig erkennbar und Produktoptimierungen sind zeitig durchführbar. Voraussetzung hierfür ist eine teamorientierte und bereichsübergreifende Arbeitsweise.

Was sind Erfolgsfaktore zur Realisierung des Simultaneous Engineering?

Folgende Erfolgsfaktoren sind zur Realisierung von Simultaneous Engineering relevant:

  • Anpassung der Aufbauorganisation und Installation von SE-Teams
  • Strukturiertes Projektmanagement
  • Firmenübergreifende, kooperative Zusammenarbeit
  • Verwendung neuer Technologien und Methoden
  • Einsatz von Informationstechnik
  • Zeitlicher Abgleich der Informationsflüsse

Was sind die Vorteile des Simultaneous Engineering?

  • Schnellere und flexiblere Durchführung von Projekten: Durch Simultaneous Engineering können die Entwicklungszeiten um 25 bis 50 Prozent reduziert werden. Entstandene Verzögerungen können im weiteren Projektverlauf durchaus wieder eingeholt werden. Die Parallelisierung ermöglicht es auf veränderte Anforderungen des Marktes und Kundenwünsche schneller und agiler zu reagieren.
  • Bessere Kooperation in bereichsübergreifender Weise: Hindernisse zwischen den beteiligten Unternehmensbereichen können durch die SE-Struktur bewältigt werden. Dadurch werden Knowhow und Anforderungen anderer Schnittstellen schneller Bestandteil des Projektes. Die Gefahr von Informationsverlusten bei der Übergabe von Arbeitsergebnissen zwischen den Schnittstellen ist geringer. Die Mitarbeiter in den SE-Teams haben ein höheres Verantwortungsbewusstsein, durchgängige Kommunikation und ein stärkeres gesamt-unternehmensbezogenes Denken.
  • Bessere Qualität der Ergebnisse: Durch das frühzeitige und intensive Testen von Mustern und Prototypen können Probleme erheblich früher erkannt und behoben werden. Das Endergebnis sind wohldurchdachte, qualitativ bessere Produkte. Sowohl der Aufwand als auch die Kosten von späteren Änderungen können erheblich reduziert werden.

Was sind die Nachteile des Simultaneous Engineering?

  • Nachträgliche Änderungen: Eine nachträgliche Änderung in der Anfangsphase eines Projektes schlägt auf Folgebereiche viel wuchtiger und kostenintensiver ein als bei einer phasenweise Projektbearbeitung.
  • Simultane Projekte: Die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer SE-Projekte gestaltet sich nicht einfach. Das resultiert aus der sehr engen Terminsetzung sowie unklaren Prioritäten, Personal- und Kapazitätsengpässen.
  • Leitung der Projekte: Simultaneous Engineering macht eine kompetente Projektleitung notwendig, weil durch die eng getakteten Termine schlechtes Leadership schnell sichtbar wird. Dadurch hat inkompetente Teamleitung schwerwiegende Fehlleistungen zur Folge in Relation zu klassischen Organisationsformen.
  • Berücksichtigung von Hierarchien: Simultaneous Engineering ist anfällig für eine Überschreitung von Hierarchien. In der Praxis können insbesondere eine elitäre Denkweise und Überschreitungen von Kompetenzen beobachtet werden. Dadurch sind in SE-Teams und den beteiligten Fachabteilungen Abwehrhaltungen denkbar.

Aufgaben

  1. Erkläre die Überlegungen, die dem Konzept des Simultaneous Engineering zugrunde liegen.

Simultaneous Engineering parallelisiert die Produktplanung und die Produktionsplanung. Hierdurch kann eine integrative Lösung erarbeitet werden, die die Herstellbarkeit (design for manufacturability), die Gesamtkosten der Herstellung (design to cost) sowie spätere Serviceanforderungen bereits in der Produktplanung berücksichtigt. Frühzeitiger Informationsaustausch im SE-Team macht spätere Änderungsrunden weitgehend überflüssig und führt wie bereits die Parallelisierung der Phasen zu einer Verkürzung der Projektlaufzeit (time-to-market).

Literaturhinweise

  1. Eversheim, W./Bochtler, W./Laufenberg, L. (2013): Simultaneous Engineering – Erfahrungen aus der Industrie für die Industrie, Springer-Verlag 2013.
  2. Krottmaier, J. (2013): Leitfaden Simultaneous Engineering – Kurze Entwicklungszeiten, niedrige Kosten, hohe Qualität, Springer-Verlag 2013.