Die Kennzahl Lagerreichweite zeigt die Relation zwischen dem Lagerbestand eines Gutes und dessen durchschnittlicher Lagerabgangsmenge pro Zeiteinheit (z. B. Tag, Woche, Monat) an. Daraus ergibt sich, nach welcher Zeit ein Lagerbestand verbraucht ist, wenn das Lagerabgangsverhalten gleich bleibt und keine weitere Beschaffung erfolgt.
Die Lagerreichweite ist der Kehrwert der Umschlaghäufigkeit und lässt sich mit folgender Formel berechnen:
Lagerreichweite = Lagerbestand / Durchschnittsverbrauch pro Zeiteinheit
Welche Faktoren beeinflussen die Lagerreichweite?
Die Entscheidung über die Lagerreichweite von Normal- und Sicherheitslagermengen wird beeinflusst durch:
die Erfassbarkeit der für die Festlegung benötigten Eingangsgrößen mithilfe von Statistiken oder Schätzungen,
die Bedeutung bzw. den Wert der Güter für das Unternehmen,
die Risikohaltung der Entscheider,
die Erhältlichkeit der Güter im Markt,
die Beeinflussbarkeit der Märkte durch Strategien des Beschaffungsmarketing und die Fähigkeit zu ihrer Umsetzung,
die Lagerfähigkeit der Güter und die Lagerkapazitäten,
die Bedarfszeitpunkte,
die erwartete Verwendungsdauer der Güter im Unternehmen und
die Nutzbarkeit der Güter für andere Zwecke bzw. ihre Veräußerbarkeit.
Welche Folgen hat eine zu geringe bzw. zu hohe Lagerreichweite?
Eine zu geringe Lagerreichweite verursacht Erfolgsminderungen durch Probleme in der Beschaffung (z. B. erhöhte Kosten einer übereilten Beschaffung), in der Produktion (z. B. Leerkosten infolge nicht genutzter Anlagenkapazitäten) und beim Absatz (z. B. Erlösschmälerung bei Nichterfüllung von Kundenerwartungen).
Eine zu hohe Lagerreichweite verursacht Erfolgsminderungen durch eine überhöhte Kapitalbindung (Entgang von Mittelzuflüssen aus Nutzung anderer Kapitalanlagemöglichkeiten bzw. Opportunitätskosten), suboptimale Kosten der Lagerführung und gegebenenfalls Verderb oder Veralterung der eingelagerten Güter und damit Nichtnutzbarkeit oder Unveräußerbarkeit.
Deterministische Optimierungsmodelle, die Fehlmengenkosten und Lagerkosten einander gegenüberstellen und das gemeinsame Optimum suchen, und stochastische Lagerhaltungsmodelle, die zusätzlich Risikostrukturen berücksichtigen, weisen häufig irreale Prämissen auf.
Ihre Rechenbarkeit bei Aufhebung bestimmter Prämissen ist heute im Gegensatz zu früher aufgrund der gestiegenen Computerleistungen durchaus gegeben. In der Praxis wird aber nach wie vor statistisch oder autonom nach Heuristiken abgeleitet der Mindestbestand ermittelt.
Wie hoch sind durchschnittliche Lagerreichweiten?
Folgender Überblick zeigt branchenübergreifende Richtwerte für die Lagerreichweite von Güterarten unterschiedlicher Produktionsstufen:
Fertigfabrikat: 21,0 Tage
Ersatzteil: 63,0 Tage
Halbfabrikat: 35,3 Tage
Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe: 43,5 Tage
Optimierung der Lagerreichweitenbestimmung
Die Optimierung der Reichweite erfordert die Kenntnis bzw. Abschätzung zahlreicher Einflussgrößen und daher einen entsprechend hohen Mitteleinsatz bei der Datensammlung und -auswertung sowie die Fähigkeit der für die Bestellung Verantwortlichen, die Implikationen der Daten zu erkennen und umzusetzen.
Dies erfolgt in der Regel EDV-gestützt. Branchenwerte bzw. branchenübergreifende Werte können allerdings nur eine Richtschnur für die Ausgestaltung der Lagerreichweite sein, stellen jedoch keine Gesetzmäßigkeit dar. Gerade durch die unternehmensbezogene Gestaltung und die Findigkeit der Entscheider bei der Ausgestaltung dieser Größen lassen sich Wettbewerbsvorteile realisieren.
Die Lagerreichweitenbestimmung basiert auf Annahmen über die Bedarfsentwicklung. Ein Lager kann nur eingerichtet werden, wenn die Erwartung besteht, dass die eingelagerten Güter zukünftig Verwendung finden. Dies ist in Unternehmen mit Massenproduktion (z. B. Energieversorgung) oder Großserienfertigung (z. B. Schaltschränke) unproblematisch. In der Kleinserien- und insbesondere der Einzelfertigung ergeben sich allerdings größere Probleme.
Dabei ist zu beachten, dass in vielen Märkten – bedingt durch die technischen Möglichkeiten, die Intensivierung des Wettbewerbs und die veränderten Nachfragererwartungen – eine Tendenz zur Individualisierung besteht. Dies verringert tendenziell die Möglichkeiten der Vorhaltung von Lägern im Absatzbereich und erhöht die erforderliche Flexibilität der Vorstufen.
Wie weit sich die Individualisierung und damit die Verringerung der Möglichkeit zur Einrichtung von Lägern durch Wertschöpfungsketten entwickelt, hängt von der Produktkonzeption ab (Zusammensetzen des individuellen Endproduktes aus Standardelementen oder Individualisierung auch der Komponenten). Für standardisierte C-Güter werden Lager aber weiterhin Bestand haben.
Das Wichtigste zur Lagerreichweite in Kürze
Die Logistik koordiniert und realisiert den inner- und überbetrieblichen Güterfluss in und zwischen spezialisierten Teilflusssystemen (z. B. in und zwischen den Funktionsbereichen Beschaffung, Produktion und Absatz oder zwischen Unternehmen).
Durch die arbeitsteilige Zerlegung von komplexen Produktionsstrukturen und durch zeitverzehrende Produktionsvorgänge kann es zu Abweichungen zwischen dem Zeitpunkt der Feststellung eines Bedarfes in einem Teilsystem und dem Zeitpunkt der Bereitstellung von Gütern durch ein anderes Teilsystem kommen.
Zur Verringerung bzw. Vermeidung dieser Abweichungen und daraus resultierender ökonomischer Nachteile nutzt die Logistik Lager. Dies gilt für alle Unternehmensbereiche. In der Beschaffung werden Lager z. B. im Rahmen der Bestellpolitik genutzt.
Die Logistikkennzahl Lagerreichweite gibt dabei die Relation zwischen dem Lagerbestand eines Gutes und dessen durchschnittlicher Lagerabgangsmenge pro Zeiteinheit (z. B. Tag, Woche, Monat) an.
Aufgaben
Welche Folgen hat eine zu geringe Lagerreichweite?
Eine zu geringe Lagerreichweite verursacht Erfolgsminderungen durch Probleme in der Beschaffung, in der Produktion und beim Absatz.
Eine zu hohe Lagerreichweite verursacht Erfolgsminderungen durch eine erhöhte Kapitalbindung, suboptimale Kosten der Lagerführung und gegebenenfalls Verderb oder Veralterung der eingelagerten Güter und damit Nichtnutzbarkeit und Unveräußerbarkeit.
Literaturhinweise
Brockmann, Karl-Hein/Sudkamp, Jens (1993): Bestände als Rationalisierungspotentiale erkennen, in: Beschaffung, Heft 11, S. 21 – 23
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